WEISSE MÜTZE GRÜNER DAUMEN

Nachdem Urban Gardening die Ballungsräume erobert hat, liegt jetzt auch in der Gastronomie der eigene Anbau von Obst, Gemüse und vor allem Kräutern im Trend. Genau genommen meint Gastro-Farming die Anzucht von frischem Grün auf Dach-Terrassen oder gar indoor mit eigens dafür kreierten Beleuchtungs- und Bewässerungssystemen. Doch das haben Bielefelds Kräuterköche gar nicht nötig. Die sprichwörtliche Großstadt im Grünen bietet nämlich genug Fläche, um Köstliches für die Küche auf altbewährte Art wachsen zu lassen.

Silvio Eberlein

Den Bauerngarten des Museumshofs Senne etwa gab es schon lange bevor die Idee der Selbstversorgung ihr Revival erlebte. Hier gedeiht neben Kirsch-, Apfel-, Birnen- und Zwetschgenbäumen auch eine seltene Frucht wie die Mispel. Sie ganz nach dem Motto „Essen statt vergessen“ zu erhalten, ist Silvio Eberlein in wichtiges Anliegen. Auch Gemüse wächst hier reichlich, von verschiedenen Zucchini- und Tomatensorten über Kürbisse und Physalis bis zu Salat. Besonders am Herzen liegt dem Küchenchef der große Kräutergarten. „Der Geschmacksunterschied zu den schnell hochgezüchteten Kräutern, die es im Topf gibt, ist einfach gigantisch“, unterstreicht Silvio Eberlein. Wer an einer der regelmäßig angebotenen Gartenführungen teilnimmt, kommt schnell ins Staunen. Neben Klassikern wie Basilikum, Oregano und Estragon gedeihen hier Schnittknoblauch, Griechischer Bergtee, Beinwell, Gemeine Gartenkresse, Veilchen, deren Blüten Sorbets verfeinern, und zahlreiche Minzsorten. Während viele davon auf dem Teller landen, bezaubert die Eau de Cologne Minze eher die Nase. Im Gegensatz zu Gewürztagetes. „Die normale Studentenblume kennt jeder, aber die stinkt eher“, so Silvio Eberlein. „Gewürztagetes dagegen schmecken sensationell. Ebenso wie die Orangen- und Rosenduft-Geranien, aus deren Blüten wir Sorbet machen.“ Sein letzter Geheimtipp: Mädesüß. „Die Blüten kochen wir für Crème Brulée aus, das verleiht ihr ein wunderbar zartes Marzipanaroma.“

Benni Wabnitz

Benni Wabnitz vom Café Gemach im angesagten Neustädter Viertel macht ebenfalls den Koch zum Gärtner. „Die Idee hatten wir schon länger, vor einem Jahr haben wir sie verwirklicht. Hinter dem Café haben wir Hochbeete angelegt und bauen außerdem Kräuter in einem Schrebergarten an. Durch Corona hatten wir viel Zeit, uns um den Garten zu kümmern. Seitdem ist die Fläche ebenso gewachsen wie die Auswahl an Kräutern.“ Neben Petersilie, Basilikum, Thymian, Rosmarin und Kerbel ist Sauerampfer sein persönliches Highlight. „So, stelle ich mir vor, könnte Salat früher mal geschmeckt haben. Ursprünglich und eben mit einer säuerlichen Note, die man nicht oft findet. Das ist geschmacklich ganz groß. Generell nutzen wir die Kräuter nicht einfach als Deko, sondern als Geschmacksbeigabe.“ Nicht im Salat, sondern im Tee landet dagegen die Marokkanische Minze, deren Aroma Benni Wabnitz ebenfalls schätzt. Neu ist die Idee, auch Sprossen selbst anzubauen. Hier ist, wie bei den Kräutern, Learning by Doing angesagt. „Für mich als gelernten Koch gehört der Umgang mit Kräutern in der Küche natürlich zum täglichen Geschäft“,

Patrick Büscher

Die Erkenntnis, dass nicht jeder Koch automatisch ein geborener Gärtner ist, würde Patrick Büscher sofort unterschreiben. Den Anbau von Gemüse im Hochbeet hat der traditionsreiche Familienbetrieb eine Weile erprobt, dann aber eingestellt. „Wir lassen anbauen“, lacht der Meisterkoch. „Unsere Philosophie ist, dass jeder in seiner Berufssparte der Beste ist. Vor allem fehlt uns aber einfach die Zeit.“ Kurze Lieferwege, frisch und regional lautet aber auch im Büscher’s das Credo. So kommt das Gemüse etwa vom Biohof Mertens-Wiesbrock in Rietberg oder wächst ganz in der Nähe bei Meyer zu Bentrup. „Die bunten Tomaten aus OWL, die dort angebaut werden, finde ich gerade super interessant“, unterstreicht Patrick Büscher. „Die kombinieren wir mit Passionsfrucht und Liebstöckel und obendrauf kommt noch ein Crunch. Das vereint alle Texturen und Geschmacksnuancen von süß bis salzig und Liebstöckel bringt Umami in Spiel.“ Nicht selbst angebaut, aber selbst geerntet, gilt dagegen für Fichtenblüten. „Die haben wir im Teuto gezupft und in Biohonig eingelegt. Der bekommt dadurch eine harzige Textur und passt super zu Bio-Schafskäse.“

Bernhard Kampmann

Den Teutoburger Wald als „großen Garten“ direkt vor der Haustür nutzt auch Bernhard Kampmann gerne. „Da haben wir im Frühjahr zum Beispiel Bärlauch geerntet. Wenn der ganze Wald nach Knoblauch duftet, ist das wunderbar.“ Seit 1991, lange bevor es trendy wurde, gibt es direkt am Schlichte Hof aber auch einen kleinen Kräutergarten. „Wir haben damals schon entschieden, auf regionale Produkte zu setzen. Das passt gut zu dem denkmalgeschützten Haus.“ Das Gemüse, für das der Platz nicht reichen würde, bezieht der Patron des Schlichte Hofs von Bauern aus der Region. Gerade bei Kräutern wie Schnittlauch, Minze, Rosmarin, Thymian, Salbei, Oregano und Lavendel liegt ihm aber der eigene Anbau am Herzen. „Frische ist da unser Geheimnis“, unterstreicht der Meisterkoch. „Wenn man etwa Minze erst ein paar Stunden nach der Ernte aufs Dessert gibt, ist der Geschmack zwar noch da, aber sie duftet nicht mehr so intensiv. Auch Rosmarin schneide ich direkt frisch ab. Wenn er dann in Soßen mitköchelt, können sich die ätherischen Öle perfekt entwickeln.“ Neben der Frische macht es für den Patron des Schlichte Hofs die Mischung. Die Honig-Thymian-Soße an Entenbrust gewinnt etwa durch einen Hauch von Lavendel. Auch bei der Kräuterkruste auf Lamm kommt es auf das Zusammenspiel an. „An der Harmonie der Kräuter“, resümiert Bernhard Kampmann, „erkennen die Gäste den feinen Koch.“

Text: Stefanie Gomoll | Fotos: Bild + Heimat Fotodesign, privat

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