Darf ich bitten?
Wer hätte das gedacht: Aus den zunächst anrüchigen Wiegeschritten, die ihre Ursprünge im Hafenviertel von Buenos Aires haben, entwickelte sich ein höchst eleganter Tanz voller Leidenschaft und Melancholie. Der Tango gehört in seiner Standardform nicht nur zum Welttanzprogramm, sondern seit zehn Jahren auch zum Immateriellen UNESCOKulturerbe der Menschheit.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kamen scharenweise Einwanderer u. a. aus Spanien, Italien oder auch aus Osteuropa in die argentinische Hauptstadt. Viele von ihnen lebten unter äußerst schlechten Bedingungen in Armenvierteln. In diesem Schmelztiegel entstand eine neue Musik, die unter anderem andalusische Folklore, neapolitanische Volkslieder mit einheimischen Musikstilen verband. Musik und Tanz wurden zur Ausdrucksform der Arbeiter, die ihren Alltag beschrieb und von Heimweh, enttäuschter Liebe, Trauer und Schmerz handelte. Wahrscheinlich war der erste überlieferte Tango-Titel „Dame la plata” („Gib mir das Geld“) aus dem Jahr 1888. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Tango, nachdem er in Paris schon seinen Siegeszug angetreten hatte, auch in Argentinien gesellschaftsfähig. Beliebt ist er übrigens auch im hohen Norden. Die Finnen sind bekanntermaßen leidenschaftliche Tango-Tänzer. Der Internationale Tango entwickelte sich ab etwa 1900 aus dem argentinischen. Wird der Internationale Tango mit Feurigkeit und Leidenschaft charakterisiert, wird die argentinische Version mit mehr Zärtlichkeit in Verbindung gebracht.
„Der Tango ist ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann.“
Enriqure Santos Discépolo (Komponist)
Bei der internationalen Variante sind die abrupten Wechsel von Tempo und Bewegungsform
vorherrschend: Lange, schleichende Gehschritte wechseln sich mit kleinen, zackigen Schritten ab, fließende mit abgehackten Bewegungen, das ruhige Dahingleiten der Oberkörper bildet einen Gegenpol zu den ruckartigen Drehungen der Köpfe. Ein besonderes Merkmal des Tangos ist seine gleichmäßige Schrittstruktur. Die Oberkörper bleiben während des Tanzes ruhig, alle Effekte werden nur aus der Körperhaltung des Paares zueinander erzeugt.
EIN BLICK GENÜGT
Die Haltung ist im Tango als Schreittanz eine andere als in den vier anderen Standardtänzen, den Schwungtänzen. Der Herr führt die Dame in erster Linie mit seinem Körper, d. h. mit dem rechten Teil des Brustkorbs und dem Becken bis hinunter zum Knie. Die Arme dienen dazu, der Dame einenRahmen zu geben, in dem sie sich bewegen kann. Im Gegensatz zu den genau festgelegten Figuren des Standardtanzes hat der Tango Argentino nur als Bühnentango eine festgelegte Choreografie. Die „Figuren“ des Tango Argentino sind vielmehr verschiedene Schrittelemente, Drehungen und Techniken, die in beliebiger Weise miteinander kombiniert werden können. Wie auch in den früheren Zeiten versuchen die heutigen Tänzer und Tanzlehrer, ihren Tanz immer weiterzuentwickeln und mit neuen Elementen zu bereichern, wobei eigentlich nicht die Variation an Elementen, sondern ein gutes Gefühl beim Tanzen wichtig ist.
Anderes als der Internationale Tango versteht sich der argentinische nicht als Wettkampfsport. Unter dem Begriff Tango werden übrigens mehrere Tanzvarianten zusammengefasst. Neben dem Tango an sich werden heute auch die Milonga und der Tango-Walzer getanzt. Daneben gibt es den ursprünglichen Candombe und den verwandten Standardtanz Tango. Und dennoch folgt der Tango Argentino gewissen Regeln. So erfolgt das Auffordern eigentlich nicht mit dem klassischen „Darf ich bitten?“, sondern lediglich mit Blicken. Eine kleine Kunst für sich, aber in unseren Gefilden darf man auch gern ganz traditionell um einen Tanz bitten. Das sollte man nicht so streng sehen. Denn schließlich steht der Spaß im Vordergrund.
BIELEFELD TANZT
So sehen das auch die zahlreichen Tango-Begeistern in unserer Stadt. Vor fast vier Jahren haben sich 19 engagierte Tangueras und Tangueros im Restaurant Bartsch zusammengefunden, um den Verein Tango Bohemio zu gründen. „Ein offener Kreis von vielen Ideen, der Spaß am Neuen und Individuellen und die Neugierde auf Querdenkertum ist unsere Idee, mit der wir das wunderbare Fabelwesen Tango gerne auf die Straße schicken und wachsen lassen wollen.“ Das ist das Credo des Vereins, der fortlaufende Einsteiger-Kurse, Technikkurse und auch solche für Fortgeschrittene anbietet, die bei S-Dance an der Eckendorferstraße 80 stattfinden. Daneben gibt es regelmäßig Workshops und Übungsabende im l‘arabesque und die beliebten Tango-Schwoofs bei Bartsch.
Termine unter www.bohemio.de
Ein paar Häuser weiter, an der Herforder Straße 237 lehrt Marcus Freitag in seiner Tanz- und Tangoschule den Tango, wie er heute in Argentinien und Uruguay getanzt wird nun schon seit nahezu 20 Jahren. In der Woche gibt es zehn Kurse und über 60 Tanzabende und einige große Bälle mit Live-Orchester im Jahr. Gelernt hat der Tango-Enthusiast bei über 40 argentinischen Lehrerpaaren und vermittelt seine Erfahrungen mit viel Spaß und Freude am Tanz.
www.tango-bielefeld.de
Der Lígereza del Tango, der Leichtigkeit des Tangos, widmen sich die Tanzlehrer Helmut und Sabina. In kleinen Gruppen lernen Anfänger an der Herforder Straße 128 den Tango Argentino kennen und anschließend darf es weitergehen – mit mehr Spaß am Tango.
www.einfachtango.de
Ariane Schmalbeck ist der Überzeugung, dass Tanzen die Menschen glücklicher macht. Warum also nicht einfach mal Tango ausprobieren. In ihren Unterricht mischt sie in den ernsthaften Tanz einen guten Schuss Humor. Im Vordergrund steht die Verbindung, das genaue Hinspüren im Paar. Technik erlernen und verbessern. Das Gleichgewicht neu erforschen. Erspüren von kleinen Bewegungen bis hin zu den großen raumgreifenden Figuren. Seit sie 1996 über den Standardtanz mit dem Tango in Berührung gekommen ist, hat sie der Tanz nicht mehr losgelassen. Die Idee der Nähe und der Improvisation im Paar hat sie begeistert und beeindruckt. Seit 2003 unterrichtet Ariane Schmalbeck in eigenen Räumlichkeiten an der Walther-Rathenau-Straße 47 und im Zweischlingen.
www.tangotick.de
Text: Eike Birck | Fotos: istock/Parkheta, istock/lcodacci