NOCH ’NEN KORN?

KLARE SACHE!

Er war der klassische Begleiter einst verrauchter – die Älteren von uns werden sich erinnern – Eck-Kneipen und integraler Bestandteil eines westfälischen „Herren-Gedecks“: Bier und Korn. Meist wurden schon vorher die Augen in schauriger Erwartung zusammengekniffen, wenn das eiskalt servierte Getränk aus einem Pinnchen in den Rachen gekippt wurde. Ja, Spaß sieht anders aus. Oder der Korn wurde mit Cola gestreckt. Ende der 1980er war der KoCo beliebter Vorglüher. Aber Korn kann deutlich mehr – nämlich Genuss. Ein guter Korn hat das Potenzial, dem Gin-Trend Konkurrenz zu machen. In angesagten Bars ist er schon jetzt auf Cocktail-Karten zu finden, zum Beispiel als Kornpirinha.

Aber zurück zum Ursprung: Korn ist eine reine Angelegenheit. Er wird aus Getreide hergestellt und zählt zu den klaren Bränden innerhalb der Spirituosen-Familie. Der Alkoholgehalt beträgt mindestens 32 Volumenprozent, ab 37,5 darf offiziell die Bezeichnung Kornbrand verwendet werden, bei 38 Volumenprozent darf von Doppelkorn gesprochen werden. Für den Geschmack ist die Wahl der Getreidesorte entscheidend. Es spielt eine große Rolle, ob Roggen, Weizen, Emmer, Dinkel, Gerste, Hafer oder Buchweizen bei der Herstellung verwendet werden. Das weiß auch Stephan Eckstein, der der Meinung ist: „Korn kommt von Können“. Seit er 2017 bei der Craftspirits-Messe in Berlin seinen ersten wirklich guten Korn – einen fassgelagerten – trank, hat er mittlerweile sehr viele unterschiedliche Brände verkostet. „So etwa 60 bis 70 davon überzeugen mich. Ein guter Korn ist aromatisch, weich, rund und schmeckt nicht nach Alkohol.“

Lust auf Korn

Wer sich über hochwertige Kornbrände informieren möchte, der wird feststellen: Das ist gar nicht so einfach. Anders als bei Gin ist der Trend noch nicht in der breiten Öffentlichkeit angekommen. „Viel läuft über Instagram“, sagt Stephan Eckstein. „Früher war Westfalen-Lippe eine Hochburg der Kornbrände, aber mittlerweile gibt es hier gar nicht mehr so viele Brennereien wie zum Beispiel im Münsterland, an der Ems oder im Norden Richtung Hamburg. Auf meiner Website führe ich die Kornbrände auf, die mir gut gefallen. Ich möchte Lust auf Korn machen und beschreibe meinen subjektiven Eindruck.“ Und auch die Produktfotos macht der Bielefelder selbst, der bei seinen Tastings Gebrautes & Gebranntes in Kombination anbietet. „Mit Korn allein funktioniert das leider noch nicht. Korn trägt immer noch das Stigma eines billigen Fusels. Deshalb schenke ich bei den Verkostungen Bierspezialitäten aus, die mir gefallen. Ein begleitender Korn erhält dadurch noch mal eine andere Note. Dadurch kann man einen geschmacklichen Kontrapunkt setzen. Wenn man zum Beispiel ein belgisches Bier mit einer herben Hefe-Note, das stark kohlensäurehaltig moussiert mit einem weichen, vollmundigen Emmerkorn kombiniert da kann ich nur sagen: Probiert das mal aus!“ Ganz klar, in diesem Bereich gibt es viel Neues zu entdecken. Seine eigenen Favoriten kredenzt Stephan Eckstein bei seinen Tastings, die ab sechs Personen buchbar sind und in den eigenen vier Wänden, in der Keller-Bar, im Garten oder an (fast) jedem gewünschten Ort stattfinden können. 

Überraschend anders

Viele seiner Gäste sind positiv überrascht davon, wie gut ein Korn schmecken kann. Ein ehrliches Genussmittel. Neben den unterschiedlichen Getreidesorten ist die Fasslagerung ein ausschlaggebendes Kriterium für den Geschmack. „Das ist ein Riesenthema“, bestätigt Stephan Eckstein. „Viele kleinere Start-ups entwickeln eigene Rezepte und tun sich mit Brennereien zusammen, um ihren ureigenen Korn zu produzieren. Die Entscheidung, wie lange ein Korn im Fass verbleibt, ist manchmal auch eine finanzielle. Denn wenn der Brand zwei Jahre lagert, verdient man damit kein Geld. Das ist gerade für kleinere Gründungen schwer zu stemmen.“

So mancher Korn landet in Fässern, die zuvor Wein, Sherry oder Bourbon beherbergten und verleihen der Spirituose ein unvergleichliches Aroma. „Ich durfte schon einige Brennereien besuchen. Das Spannende dabei ist, dass viele Kornproduzenten auch Landwirte sind und ihr eigenes Getreide anbauen. Damit ist Korn nicht nur ein überaus reines – chemische Zusätze sind untersagt –, sondern auch ein nachhaltiges Produkt.“

Und wie trinkt man einen guten Korn richtig? „Das fängt bei einem Nosing-Glas an“, erklärt der Korn-Fachmann. „Das ist unten bauchig und verjüngt sich nach oben, damit die Nase, die ja maßgeblich am Geschmackserlebnis beteiligt ist, viel vom Aroma mitbekommt.“ Und selbstverständlich darf der Korn nicht eiskalt getrunken werden, denn sonst bleibt vom Geschmack nicht viel übrig. Und das wäre bei einem guten Korn richtig schade.

Bielefelder Tradition

Apropos: Viele Brennereien arbeiten seit Jahrzehnten mit einem bewährten Familienrezept. Historiker gehen davon aus, dass Korn seit dem 15. Jahrhundert in Deutschland gebrannt wird. Das erste Reinheitsgebot für das Brennen von Kornbränden galt ab 1789. Man wollte die Pantscherei mit Kartoffelbrand unterbinden.

Korn hat übrigens im Westfälischen – und auch in Bielefeld – seine Wurzeln. 1878 errichtete Friedrich Dreesbeimdieke eine Kornbranntwein- und Steinhägerbrennerei an der Heeper Straße. Bereits kurze Zeit nach der Gründung erlangte das heimische Produkt „Senner vom Mutterfaß“ in der Region große Popularität. 1901 kaufte Friedrich Dreesbeimdieke die „Gadderbaumer Brennerei“. Während dort der Hauptteil der Produktion lief, blieb die Heeper Straße bis zum Ersten Weltkrieg der Firmensitz. Als einzige Brennerei Bielefelds überstand das Unternehmen zwei Weltkriege, wirtschaftlich mühsame Zeiten und so manchen Rückschlag. In der nunmehr fünften Generation ist die Firma F. Dreesbeimdieke fest in Familienhand und eng mit Bielefeld verknüpft. Das zeigt sich beim „Dreesbeimdieker Heimatwasser“ – ein westfälischer fassgelagerter Korn nach alter Leinenweber Art mit gelblichem Farbton. Jedes Jahr am letzten Wochenende im Mai wird in Bielefeld der Leinenweber Markt gefeiert. Traditionell wird dann vom Leinenweber Paar zur Eröffnung Heimatwasser aus dem Zinnlöffel gereicht. Wohl bekomm’s.

Tastings in Bielefeld

Korn- und Bier-Tastings mit Stephan Eckstein
www.eckstein-tastings.de

Whisky- und Rum-Tastings bei Claudia Kuhlig im Whisky Room
www.whisky-room.de

Whisky-Tastings im Hotel-Restaurant Bartsch
www.hotel-restaurant-bartsch.de

Wein-Tastings bei Messing Weine
www.messingweine.de

Wein-Abende in „Die kleine Weinschule“
www.die-kleine-weinschule.de

Weine & mehr bei Jacque’s Weindepot
www.jacques.de

Weinseminare bei Wein etc.
www.weinetc.de

Text: Eike Birck Foto: istock/MarianVejcik

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