KNEIPEN, KULT UND KELLERGEISTER

LEGENDÄRE GASTRO-GESCHICHTE(N)

Sie haben es wieder getan: Frank Tippelt und Willibald A. Bernert haben ihren Bielefelder „Kneipen-Duden“ fortgesetzt. Mit dem schönen Titel „Kneipen, Kult und Kellergeister“. Akribisch recherchierten die beiden Bielefelder weitere unglaubliche Geschichten aus dem heimischen Nachtleben. Und erzählen die Historie anhand von vielen netten Anekdoten mit einer gehörigen Portion Humor. Reich bebildert entsteht so eine Kulturgeschichte der Kneipen-Kultur, die ansonsten wohl dem Vergessen anheimfallen würde.

Insgesamt fünf Rundgänge unternahmen die beiden Kneipen-Enthusiasten für ihr Buch. Die erste Station – das legendäre Café Oktober am Landgericht– ist unter der Rubrik: Studenten, Stars und leichte Mädchen subsumiert. Besitzer war der leider bereits 1995 verstorbene Architekt Uwe Hoffmann, der den Feierabend immer mit einem Walzer einläutete, bevor das Putzlicht eingeschaltet wurde. Was kaum noch jemand weiß: Über dem „Oktober“ befand sich eine Galerie, in der Künstler ausstellen konnten. Und auch an das Atlantic an der Kreuzstraße, bis Anfang der 1990er-Jahre Bielefelds letzter Stripladen, erinnern sich vermutlich nicht mehr allzu viele Bielefelder. Anfang der 1990er-Jahre machte Kneipen-Legende Hoffmann aus der Gaststätte Germer hinter der Kunsthalle das kleine, aber feine Rodin, ein Café mit Galerie. Im AC – Ambassador Club – gaben sich Stars wie Udo Jürgens, Karel Gott und Chris Roberts die Klinke in die Hand. Punkt Mitternacht gab’s dort übrigens die gleichnamige Suppe. Bielefelds Gastronomen waren und sind eben immer für eine Idee gut. Auch jenseits der Altstadt war gastronomisch eine Menge los. Der zweite Rundgang, westlich des Zentrums streift die Johannislust, die oberhalb des OWDs lag und Treffpunkt der alternativen Szene war. Es gab Konzerte auf der Freiluftbühne und es wurden wilde Party gefeiert. Gefeiert wurde auch in den Lokalitäten entlang der Stapenhorststraße – besonders die Arminen-Aufstiege. Und auch die Abstiege wurden dort betrauert. Zum Beispiel im Tinneff, das nach dem Spitznamen des DSC-Spielers Walter Röhe benannt wurde und nach einem Brand 2007 abgerissen wurde.

Von Dönekes und Goldfischen

Und so geht es munter weiter mit der Kneipenhistorie: Mit der Arndtstraße als Kneipenmeile des Westens oder der Szene rund um den Ostmannturm. Natürlich darf Bielefelds älteste Studentenkneipe, Ferdis Pizza Pinte, ebenso wenig fehlen wie die Lokale, die lange in Familien- oder Pächterhand sind, wie z. B. Jordan, Bewekenkorn oder Kajüte. Auch die Lokalitäten, die wie der Ostwestfale sagt jwd sind – also janz weit draußen – finden Erwähnung. Dazu zählen der Dornberger Pappelkrug, zwischen 1990 und 1993 Heimat der noch immer existierenden Konzertreihe „Soundz of the City“, oder das Dönekes, wo die Sperrstunden um 1 Uhr dank findiger Verkleidungen umgangen wurden. Das Dönekes ist mittlerweile einer Wohnanlage gewichen, aber den Pappelkrug gibt es noch immer. Ebenso wie Ferdis Pizza Pinte, Gaststätte Vahle, die Wunderbar, Zwiebel, Zum Bären und Der Koch. Feste Größen in der Bielefelder Gastro-Szene. Und wer wissen möchte, welcher Gastronom einen bei Umbauarbeiten zufällig entdeckten Brunnen kurzerhand zu einem Stehtisch als Aquarium mit den Goldfischen Krawuttke und Kriwaldas umfunktionierte, der sollte sich dringend diesen literarischen Zug durch die Gemeinde zu Gemüte führen. Kleiner Tipp: Es handelt sich um ein Haus mit langer Gaststättentradition, in dem Altbier und der Perlwein Kellergeister in Strömen flossen.

Von Karneval bis Silvester: Gefühlt ist im Dönekes jeden Tag Party.

INTERVIEW MIT DEN AUTOREN

Das erste Buch „Kneipen, Kult und Kakerlaken“ war eigentlich eine Schnapsidee. Entstanden – wie kann es anders sein – an der Theke. Da kannten sich die beiden Autoren schon etliche Jahre. Frank Tippelt hatte bereits drei Bücher über Bielefelds bewegte Historie veröffentlicht und Willibald A. Bernert – genannt Olli – war früher der Maler des Vertrauens vieler Bielefelder Wirte. Das ermöglichte ihm spannende Einblicke in die Hinterstübchen diverser Gastronomien und nicht zuletzt ganz viele Kontakte. Zurück zum Thekengespräch: „Lass uns ein Kneipenbuch machen“. „Ja, warum eigentlich nicht.“ BIELEFELD GEHT AUS hat mit den beiden Autoren gesprochen.

Frank Tippelt und Olli Bernert

VON 1990 BIS HEUTE – INWIEFERN HAT SICH BIELEFELDS GASTRONOMIE VERÄNDERT?

Frank Tippelt: Rund um die Mühlenstraße, in der ich in den 90ern einige Jahre wohnte, sehen wir exemplarisch, wie sich die Kneipenlandschaft verändert hat. Black Rose: geschlossen. Tangente: mehrfacher Pächterwechsel. Sandkamp: geschlossen. Goldener Stern: geschlossen. Café Mint: geschlossen. Tiemann: geschlossen. Keglerklause: geschlossen. Hammer Mühle: Wir lesen fast täglich darüber. Und selbst Enzo war eines Tages weg. Das hinterlässt Spuren. Treffpunkte im Quartier gehen verloren, Nachrichtenbörsen für Klatsch, Tratsch und wichtige Neuigkeiten aus der Nachbarschaft. Wer sich in seiner Wohngegend auskannte, wusste, wann er in welcher Kneipe wen finden konnte.
Olli Bernert: Die Veränderung kann man am besten in unseren Büchern erkennen. Ich sage immer mit einem Augenzwinkern: „Früher war alles besser!“

WAS GLAUBT IHR, GESCHEHEN HEUTE AUCH NOCH SO SCHÖNE SKURRILE GESCHICHTEN IN DER GASTRONOMIE, DIE VIELLEICHT IN 30 JAHREN AUFGESCHRIEBEN BZW. ERZÄHLT WERDEN?
Frank Tippelt: Ja, natürlich. Das wird auch immer so bleiben. Ein bisschen Unterhaltung gehört selbst in kühleren Zeiten wie diesen dazu. Stell dir mal vor, es würde nichts Komisches mehr passieren in unserem Leben. Oder nichts Trauriges. Keine Komödie, keine Tragödie. Das ganze Theater weiß gefliest im Neonlicht. Da möchte ich nicht Publikum sein.
Olli Bernert: Über Karl Richter (Wirt des Stolander, Anm. d. Redaktion) gibt es sicherlich noch viele Anekdoten.

WELCHE DER VIELEN GESCHICHTEN AUS BIELEFELDS KNEIPEN- SZENE HAT EUCH BESONDERS BERÜHRT?
Olli Bernert: Die Müllmänner-Geschichte in der Ollen Pumpe. Die Müllleute saßen in Unterhosen an der Theke und die Wirte in orangefarbenen Uniformen haben ‘ne Polonaise durch die Altstadt gemacht.
Frank Tippelt: Das waren einige. Ob es die liebe Grete Jordan war, die Kunstprofessor Frank Herzog bei Liebeskummer immer was Schönes zu essen gegeben hat oder die Mühlenwegs vom Neustädter Hof, die einen festen Platz in den Herzen der Bethel-Kinder hatten, Ursula Nolte von der Heilsarmee, die mit Freude Abend für Abend mit der Sammelbüchse rumging oder der Rote Baron Rolf Senftleben, der seinen Ibiza-Urlaub plante und dafür zwei Verkäufer von Lösekann ins Kreta bestellte, die die aktuelle Bademode vor führten – sie alle erzählen Geschichten, wie sie niemand besser schreibt als das Leben.

BEI WELCHER KNEIPE WAR ES BESONDERS SCHWIERIG AN INFORMATIONEN BZW. ZEITZEUGEN ZU KOMMEN UND WIE HABT IHR DIE NUSS GEKNACKT?
Olli Bernert: Fotos waren immer das größte Problem. Interessante Geschichten waren anfangs natürlich schwer zu bekommen. Später kamen die Geschichten fast von alleine. Das lief so gut, dass wir sogar Band 3 und 4 planen. Band 3 ist vom Verlag schon „genehmigt“.
Frank Tippelt: Das verraten wir euch nicht. Schließlich sind wir ja mit unseren Lokal-Geschichten gewissermaßen newbies, und als solche können wir nicht die besten Karten aus der Hand geben. Ihr hingegen seid jetzt seit 30 Jahren Experten in Sachen Bielefelder Gastrokultur – und dazu gratulieren wir euch herzlich!

TEXT: Eike Birck

Fotos: Ulli Muhl, Jürgen Lehwalder

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